"Person-zentriert" vs. "Community-zentriert"

In jüngerer Zeit tauchen an einigen Stellen zwei Begriffe auf: Ich verstehe bisher noch nicht, was “Person-zentriert” vs “Community-zentriert” bedeutet. @Marcus, kannst du helfen?

Gerne!

Karrot ist z.B. Community-basiert. In Karrot musst du Teil einer Community werden, um überhaupt irgendetwas machen zu können. Tätigkeiten werden innerhalb der Community vermittelt, die Kommunikation verläuft rein im Rahmen der Community. Bist du kein Teil einer Community, bist du innerhalb der Karrot-App handlungsunfähig und bist du Teil einer Community, hast du innerhalb dieser keinerlei Beziehung zu Personen anderer Communities. Soweit ich das in den Karrot-Diskussionen mitgelesen habe (hier im letzten Design-Meeting wird das ganz deutlich angesprochen), wollen sie das auch nicht anders. Sie helfen eben Communities sich zu organisieren.

Die Activity-Pub-Apps, die ich kenne, funktionieren ja ganz ähnlich. Du wirst Teil einer Instanz (Unsere Videos sind z.B. auf tube.tchns.de und unser Podcast auf open.audio) und du siehst dann auch erstmal nur die Beiträge aus dieser Instanz. Bei Mastodon hast du dann deinen persönlichen Kanal mit Beiträgen verschiedener Instanzen (die du aber erst manuell gefunden haben musst), dann einen Kanal mit Community-Beiträgen und dann einen Kanal mit Beiträgen, von Leuten, denen Leute aus deiner Community folgen. Aber der Fokus liegt eben wieder auf einer bestimmten Community.

Auch die Kurzbeschreibung von Bonfire: “Working towards a future where communities can assemble their own social networks like lego blocks, to cultivate safe and private spaces while being interconnected with the rest of the “fediverse” and the internet at wide on their own terms.” Auch wieder: Community-basiert. Wobei sie auch den Slogan “Federated social networking toolkits for communities and individuals to design, operate and control their digital lives.” haben. Es wäre wohl wichtig herauszufinden, inwiefern dieses ‘Individuals’ ernst genommen wird.

Unsere Konzeption ist Personen-zentriert, weil niemand erst Teil einer Community werden muss, sondern die eigenen Bedürfnisse vermittelt werden und sich selbst Tätigkeiten zugeordnet wird. Und das eben nicht innerhalb einer Community (auch wenn das möglich sein sollte), sondern eben grenzenlos. Wenn wir uns für ein Protokoll entscheiden, müssen wir m.M.n. auf jeden Fall darauf achten, ob es eben diese Personen-zentrierte Vermittlung unterstützt. Und wir unterscheiden uns damit wesentlich von Karrot - das könnte also auch die Basis der Zusammenarbeit unserer Projekte sein.

Und vielleicht noch ein Nachtrag zur Unterscheidung von Holochain und Solid: Beide sind Personen-basiert, aber bei Holochain werden deine Daten rein auf dem lokalen Speicher deines Endgerätes gesichert (und in Fragmenten dann bei zufälligen Peers in deiner lokalen Nähe) und du entscheidest, wie andere auf diese lokalen Daten zugreifen können. Bei Solid sind deine Daten auf einer Server-Parzelle (du kannst dir aber auch deinen eigenen Server einrichten) und werden von dort aus verwaltet. Solid ist damit ein bisschen “klassischer”, aber bleibt eben Personen-zentriert.

In vielen Projekten wird übrigens “agent-based” statt “person-based” gesagt. “Agents” schließen neben Personen auch noch Organisationen mit ein, die “wie eine Person” agieren. Für unsere Konzeption passt das m.M.n. nicht, da Organisationen u.a. keine Bedürfnisse haben. Wir sind konzeptionell sehr nahe am Menschen selbst dran.

Für mich ist beispielsweise Mastodon auf der Ebene, auf der Karrot oder Grouprise Gruppen-/Community-zentriert sind deutlich Personen-/Account-zentriert. Es gibt auf Mastodon gar keine “Zusammenschlüsse” von Accounts auf der Ebene der Verwendung der Software.

Es gibt eine Gruppierung auf der eher technischen Ebene von Servern, aber wenn ich das als gruppenzentrierten Ansatz betrachten würde, dann wäre E-Mail auch ein gruppenzentriertes Protokoll. Und das würde ich nun wirklich nicht behaupten.

Auch in unserem Ansatz gibt es Gruppen-Elemente (beispielsweise die integrierten Zusammenschlüsse) und ich bin der festen Überzeugung, dass wir die stärker als bisher betonen müssen. Weder als Einzelperson noch als spontaner Zusammenschluss von Einzelpersonen bekomme ich erfolgreich ein Haus gebaut (nur eine Behauptung!). Wir brauchen stabile Zusammenschlüsse – so etwas wie Kollektive oder heutzutage würde man sagen: Firmen/ Unternehmen.

Ich glaube auch, die Grenzen bei Mastodon sind da fließend - wenigstens kommt man ja “aus der Community” raus, wenn man Mastodon benutzt -, aber ich würde trotzdem behaupten, dass es solche Zusammenschlüsse definitiv gibt. Gerade bin ich bei Fosstodon und bekomme die ganze Zeit Beiträge über Freie Software bzw. meine Beiträge gehen auch erstmal nur an die Community, außer jemand aus einer anderen Instanz folgt mir. Dann habe ich mir überlegt aus social.coop zu wechseln, allerdings gibt es da relativ scharfe Beitrittsregeln wie ein OpenCollective-Account und Pflicht zur monatlichen Spende + die Erwartung einer Arbeitsgruppe dort beizutreten. Da wären coole Linke, aber vielleicht geh ich auch nach graz.social um mich in meiner Stadt besser zu vernetzen (Voraussetzung für die Instanz ist, dass ich hier lebe oder mit Graz anders verbunden bin). Meiner Mastodon-Erfahrung nach macht es ziemliche Unterschiede, wo du bist und du kannst nicht in zwei Communities gleichzeitig sein. Wenn ich dagegen eine Konto bei web.de oder gmx.de habe, habe ich nichts mit den anderen Leuten zu tun, die dieselbe Domain haben. Ich kann - im Gegensatz zu Mastodon - keine Mails lesen, die sie in die Welt schicken. Der Server ist bei Mastodon die Community und bei web/gmx/etc eben nicht.

Matrix würde ich daher auch als “Personen-zentriert” beschreiben, aber ich glaube gerade ohne die ökonomische Ebene ist diese Aufteilung gar nicht wirklich relevant.

Das stimmt, dass wir das bisher nicht genug betonen. Aber ich würde auch hier sagen, dass wir einen Personen-zentrierten Ansatz haben:

  1. Du wirst dich innerhalb der Software-Infrastruktur wohl auch mehreren Kollektiven etc. zuordnen können, um bestimmte Aufgaben zu erledigen. Und was wir ja besonders unterstützen ist dieser Prozess dann selbst diese Kollektive etc. zu finden und falls du aufgenommen wirst (o.ä.) geschieht die Kommunikation gruppenintern und “wir” haben damit eigentlich nichts mehr zu tun. Das wäre dann wohl diese interpersonale Ebene und unser Fokus liegt in erster Linie ja auf dem Transpersonalen. Und falls sich das Kollektiv auflöst - weil das Haus z.B. gebaut wurde - dann existierst du weiterhin als ökonomische Person. Löst sich bei z.B. karrot deine Community auf, stehst du meines Wissens nach wieder bei Null.

  2. Es können sich Kollektive/Firmen etc. in die Strukturen integrieren und auch auf Mittel etc. zugreifen bzw. sich Aufgaben annehmen. Aber so wie ich das sehe, wird etwa Anerkennung dann den einzelnen Kollektiv-Mitgliedern zugesprochen und nicht dem ganzen Kollektiv. Und die Kollektiv-Mitgllieder vermitteln jeweils alleine ihre Bedürfnisse und werden vielleicht wegen ihrer Aktivität im Kollektiv besonders von anderen berücksichtigt, aber stehen hierbei in keinem unbedingten Zusammenhang mit anderen Leuten im Kollektiv. Für mich gibt es da eine klare Trennung zwischen der Weise, wie ich mich an Commoning-Prozessen beteilige (individuell, im Kollektiv, o.ä.) und wie ich Commoning-Prozesse durch die Vermittlung meiner Bedürfnisse beeinflusse.

Aber wir müssen das zeitnah mal ausformulieren und besonders dann in die Welt bekommen.