Textreihe Teil 4, Kapitel: Lokalisierung des Gemeinsames und darum stattfindender Auseinandersetzungen

In letzter Zeit habe ich besonders über den Prozess der Regelsetzung nachgedacht und schließlich an einem Framework gearbeitet, um herauszustellen, an welchen Stellen überhaupt zwischen welchen Akteuren Regeln gesetzt werden können. Ich hoffe damit einen ersten Einstieg in das Thema gefunden zu haben - in ein Forum fertige Texte hineinzukopieren ist nie wirklich schön und immer unpersönlich, aber ich das war jetzt ein zu langer Prozess und ich schaff es nicht, das neu zu formulieren :grimacing:

PDF: Lokalisierung des Gemeinsamen (30.12.2021)


Lokalisierung des Gemeinsames und darum stattfindender Auseinandersetzungen

Im Zentrum der Organisation des Gemeinsamen stehen die
Auseinandersetzungen mit anderen, um Regeln und Absprachen zum Umgang
mit diesem Gemeinsamen zu finden. Generell gilt dabei, dass solche
Auseinandersetzungen nur in einem Konfliktfall notwendig sind: Also etwa
bei verschiedenen Ansichten zu gesetzten Regeln oder gewünschten
Änderungen an Regeln oder falls verschiedene berechtigte Akteure
dasselbe Mittel nutzen wollen, diese geplante Nutzung sich aber
überschneidet. Da sich solche Auseinandersetzungen jeweils im Bezug auf
Gemeinsames ergeben, wird vor einer näheren Beschäftigung mit dem
Prozess der Regelsetzung zuerst das Gemeinsame innerhalb bestehender
und angestrebter Verhältnisse gesucht; unabhängig davon, ob dieses
Gemeinsame etwa ,bedürfnisorientiert’ verwendet wird (siehe die
Definition von Johannes Euler in Kapitel 1.1 Theorie)
Dabei gilt das Mindestkriterium dafür, dass etwas das ,Gemeinsame’
verschiedener Akteure ist, dass einer dieser Akteure den anderen nicht
willkürlich von der Regelsetzung bzw. Verwendung des Mittels
ausschließen kann. Ist das Gemeinsame so lokalisiert, werden die
unterschiedlichen Positionen versucht herauszustellen, in denen sich auf
ein Mittel als Gemeinsames bezogen werden kann und auch die
Besonderheiten bei Auseinandersetzungen über Gemeinsames, welche durch
diese Positionen entstehen können. Konkrete Beispiele für einzelne
dieser Momente folgen am Ende jedes der beiden Unterkapitel.

Um das Gemeinsame zu lokalisieren, wird sich diesen von zwei Richtungen
angenähert: Zuerst aus der heute dominanten Perspektive des Eigentums
und folgend aus der Perspektive der offenen Verfügung, wie sie von
Meretz/Sutterlütti neben der ,Freiwilligkeit’ als eine der beiden
Grundbedingungen einer Freien Gesellschaft gesetzt wird.

Perspektive des Eigentums

Eigentum heißt hier, dass ein Akteur bzw. mehrere Akteure, deren
Eigentum ein bestimmtes Mittel ist, über dessen Verwendung weitgehend
willkürlich bestimmen können. Als einzige durchsetzungsfähige Akteure
zur Einschränkung der willkürlichen Nutzung, werden dabei staatliche
Institutionen gesehen.

Lokalisierung des Gemeinsamen: Ist das Mittel Alleineigentum eines
Akteurs und gewährt dieser Akteur niemanden die Mitverwendung und kann
auch niemand eine Mitverwendung durchsetzen, dann ist dieses Mittel von
niemanden das Gemeinsame
. Ist das Mittel das Eigentum von mehr als
einem Akteur und demnach ein Gemeineigentum, dann ist es das Gemeinsame
von allen Eigentümern bzw. Eigentümerinnen
. Falls eine Mitverwendung
des Mittels gewährt wird und falls diese Mitverwendung auf selbe Weise
mehr als einen einzigen Akteur betrifft, dann ist das Mittel ein
Gemeinsames der in der Gewährung eingeschlossenen Mitnutzenden
,
beschränkt dabei auf die Grenzen der Gewährung. Ist zur Bestimmung des
Gemeinsamen gesetzt, dass ein Akteur einen anderen nicht willkürlich
ausschließen kann, dann kann ein Mittel niemals das Gemeinsame von
Eigentümern und Akteuren sein, denen die Mitnutzung nur gewährt ist. Ist
die Mitnutzung allerdings durchsetzungsfähig, selbst wenn das Mittel
kein Eigentum dieser Akteure ist, kann es das Gemeinsame von
Eigentümern und durchsetzungsfähigen Mitverwendenden
sein, wobei das
Gemeinsame dabei auf die Grenzen der Durchsetzbarkeit beschränkt ist.

Definierung möglicher Positionen: Akteure können alleinige oder
gemeinsame Eigentümer bzw. Eigentümerin eines Mittels sein. Akteure
können gewährt-Mitnutzende bzw. durchsetzungsfähige Mitnutzende
eines Mittels sein, das nicht ihr Eigentum ist. Während es sich bei
Eigentümern immer um konkrete Akteure handelt, kann die Mitnutzung auf
einzelne konkrete Akteure beschränkt oder bis hin für alle prinzipiell
offen sein. Staatliche Institutionen können unter bestimmten
Bedingungen die Nutzung von Eigentum auf eine Weise einschränken, die
der Nutzung als Gemeinsames zugute kommt.

Besonderheiten in den Auseinandersetzungen: Die grundlegende
Besonderheit in auf Eigentum beruhenden Verhältnissen ist das
willkürliche Recht von Eigentümern und Eigentümerinnen über die
Verwendung von Mitteln weitgehend willkürlich zu bestimmen. Von dieser
Position aus wird Mitnutzung gewährt und gewährt-Mitnutzende können
zwar als Bittsteller agieren, aber ihre Anliegen nicht durchsetzen. Ohne
die Zustimmung von Eigentümern bzw. Eigentümerinnen kann eine
durchsetzbare Mitnutzung zu bestimmten Bedingungen auch nicht
vereinbart werden. Die einzige Möglichkeit für nicht-Eigentümer auf
die Nutzung des Eigentums anderer durchsetzungsfähig einzuwirken, ist
der Umweg über staatliche Institutionen.

Beispiele: Eine staatlich-gesetzte Nutzungseinschränkung eines Mittels kann sein, dass eine Stereoanlage in einer Stadtwohnung zu einer bestimmten Uhrzeit einen bestimmten Lärmpegel nicht überschreiten darf. Als eine Auseinandersetzung zwischen Nicht-Eigentümern und staatlichen Institutionen kann etwa der Versuch gewertet werden, besetzten Wohnraum zu billigen, sprich, Eigentümer in ihrer Nutzung dieser Mittel einzuschränken. Gemeineigentum kann sowohl das gemeinsame Auto eines Paares oder der gemeinsame Betrieb einer Genossenschaft sein. Jemand kann Anwohnern und Anwohnerinnen des eigenen Wohnblocks die Mitnutzung der eigenen Bohrmaschine an bestimmten Tagen gewähren. Falls diese Anwohnenden die Bohrmaschine auch an anderen Tagen verwenden wollen, können sie die Eigentümerin nur darum bitten. Die Eigentümerin eines Ferienhauses kann dieses von anderen unentgeltlich restaurieren lassen und als Gegenleistung eine durchsetzbare Mitnutzung zu bestimmten Bedingungen innerhalb eines bestimmten Zeitraumes eingehen.

Perspektive der offenen Verfügung

Offene Verfügung’ heißt, dass es niemanden verwehrt ist auf ein Mittel zugreifen können. Da es außerhalb von Mitteln, die sich beim Teilen vermehren (wie Software oder mündlich weitergegebendes Wissen), zu Konflikten in der Verwendung kommen kann, ist hier das ,offene Regelsetzungsrecht’ ausschlaggebend: Das Recht eines Akteurs über die Verwendung eines Mittels mitzuentscheiden, wenn dieser Akteur ein Interesse an der Verwendung des Mittels hat oder er von der Verwendung des Mittels betroffen ist. Der Regelsetzung bei Mitteln unter offener Verfügung können dabei Grenzen durch die sie verwaltenden Institutionen oder eingeschriebenen Nutzungseinschränkungen gesetzt sein.

Lokalisierung des Gemeinsamen: Innerhalb der offenen Verfügung bzw.
des offenen Regelsetzungsrechtes sind die Mittel das Gemeinsame aller;
was auf praktischerer Ebene bedeutet, von all denen, die damit in
Beziehung stehen oder damit in Beziehung treten wollen. Ein Mittel
bleibt Gemeinsames, wenn es auch Akteure gibt, die anfechtbare
Entscheidungs- oder Verfügungsrechte darüber haben. Ein Mittel bleibt
selbst dann Gemeinsames
, wenn es rein privat verwendet wird, diese
private Verwendung aber von anderen akzeptiert und prinzipiell
anfechtbar ist. Ein Mittel, das Gemeinsames sein sollte, hört auf
Gemeinsames zu sein
, wenn es eingehegt wird; von einer solchen
Einhegung kann gesprochen werden, wenn gesetzte Regeln die offene
Verfügung über Mittel schmälern und diese Mittel – versteckt oder offen
– dadurch in eine durch Außenstehende nicht oder nur schwer veränder-
bzw. auflösbare Form geraten. Ein Mittel schließlich wird Gemeinsames
wenn es aus eigentümlichen Strukturen in Strukturen offener Verfügung
überführt wird.

Definierung möglicher Positionen: Im Umgang mit Mitteln unter
offener Verfügung bzw. offenen Regelsetzungsrecht gibt es die
strukturell zur Regelsetzung Berechtigten. Die Regelung bestimmter
Mittel kann dabei Bezug auf bestimmte Akteure nehmen, diesen also etwa
besondere Entscheidungs- oder Verfügungsrechte zu- oder absprechen.
Damit entstehen die Positionen durch Regelsetzung handlungsfähiger
oder durch Regelsetzung ohnmächtiger zu sein bzw. außerhalb
bisheriger Regelsetzungen
zu stehen. Solange es dabei ausreichend
Möglichkeiten für Akteure sämtlicher Positionen gibt bestehende
Regelungen zu verändern oder aufzulösen, schmälern diese Regelungen
dabei nicht die offene Verfügung selbst. Im Falle einer Einhegung können
Akteure in den Positionen sein, den Zugriff auf Gemeinsames anderen zu
verwehren
oder den Zugriff auf Gemeinsamen verwehrt zu bekommen. Bei
Mitteln, die aus eigentümlichen Strukturen überführt werden, gibt es die
Position Halter bzw. Halterin bestehender Eigentumsrechte zu sein.

Besonderheiten in den Auseinandersetzungen: Der Umgang mit
Gemeinsamen bedeutet unbedingt eine ständige Auseinandersetzung mit
anderen.Diese Auseinandersetzungen sind ein inhärenter Bestandteil des
Gemeinschaffens und bilden gewissermaßen das Fundament eines Lebens in
und mit Gemeinsamen. Eine Besonderheit liegt dabei in
Auseinandersetzungen zu institutionellen und eingeschriebenen
Nutzungseinschränkungen
, die außerhalb der offenen Verfügung bestehen,
sich auf tendenziell mehr als ein Mittel beziehen und damit tendenziell
viele Akteure betreffen. Wie und ob sich solche Rahmenbedingungen
überhaupt dabei verändern lassen, lässt sich außerhalb der konkreten
Situation nicht bestimmen. Die nächste Besonderheit liegt im Umgang mit
eingehegten Mitteln. Je nach Situation muss eine solche Einhegung
überhaupt erst festgestellt werden, um schließlich prüfen zu können, ob
die Einhegung bewusst oder nicht bewusst, also z.B. aus Routine heraus
oder durch Unwissenheit über den richtigen Umgang mit dem Mittel
entstand. Je nachdem muss die Einhegung und deren Umstände aufgezeigt
und diskutiert werden können und es braucht die Möglichkeit Einhegung
auch dann aufzulösen, wenn sie durch legitim-gesetzte Regelung geschah.
Bei Eigentum im Übergang kann es zu Auseinandersetzungen kommen, falls
dieser Übergang nicht eindeutig geregelt wurde. Relevant ist hier, wie
durchsetzungsfähig dabei die strukturell zur Regelsetzung Berechtigten
gegenüber dem Halter bzw. der Halterin bestehender Eigentumsrechte sind

Beispiele: Die Munus-Stiftung aus Österreich verwaltet gemeinsam
nutzbares Land. Eine institutionelle Nutzungseinschränkung für
sogenannte ,Nutzer*innengeschmeinschaften’ ist die Verpflichtung zur
Gründungserklärung der Stiftung und Entsendung einer Person in deren
Aufsichtsrat - womit auch gesetzt ist, wie Auseinandersetzungen zur
Änderung von Rahmenbedingungen vor sich gehen. Eigentum im Übergang
kann hierbei besonders (Land-)Boden sein, der entweder direkt und
unmittelbar oder auch testamentarisch gestiftet wird. Unter der GPL (GNU
General Public License) lizenzierte Software steht zur Offenen
Verfügung
; die Lizenz bringt aber die eingeschriebene
Nutzungseinschränkung
mit sich, dass jede Software, welche auf
GPL-lizenzierter Software beruht, ebenfalls frei sein muss (sog.
,Copyleft’). Die ,Park Slope Food Coop’ ist zwar in bestehenden,
eigentümlichen Strukturen eingebettet, kann aber leicht als Beispiel
graduell geschlossener Regelungen dienen: Ein Supermarkt für
biologische Lebensmittel zu günstigen Preisen, in welchem allerdings nur
Mitglieder einkaufen dürfen – Mitglied zu werden steht dabei jeder
Person offen, allerdings geht damit etwa die Pflicht einher, regelmäßig
Schichten im Supermarkt zu arbeiten. Allgemeinere Beispiele für graduell
geschlossenes Gemeinsames können auch ein Fahrrad oder eine Zahnbürste
sein. Für beides kann es allgemein akzeptiert sein, dass sie von einer
einzelnen Person alleine gebraucht werden, während nach der Aufnutzung
der Zahnbürste deren Material wieder wie selbstverständlich von dieser
Person unabhängig weiterverwendet wird oder bei einem Mangel an
Fahrrädern, die rein private Nutzung eines Fahrrades zur Diskussion
steht. Als ,Beating the bounds’ beschreiben Helfrich/Bollier einen alten
englischen Brauch, der dazu diente, ein Gemeinsames zu überwachen,
dessen Einhegung abzuwenden und die gemeinsame Identität als
Gemeinschaffende zu bestätigen: ,»To beat the bounds« war ein
alljährliches Ritual, bei dem Mitglieder einer Gemeinschaft, Alte wie
Junge, ihr gesamtes Land abschritten, um sich immer wieder neu damit
vertraut zu machen und Hecken oder Zäune zu entfernen, die fehl am Platz
waren." (FFL, S.71). Innerhalb softwaregestützter Strukturen braucht es
dabei keine Zäune zur Einhegung; unter Umständen kann es ausreichen,
Informationen über ein Mittel und dessen Verfügbarkeit aus einer
Datenbank zu entfernen, um andere von dessen Verwendung dauerhaft
auszuschließen.